Andreas Kohli

Benzin wird immer teurer. Eine günstige Alternative heisst E85, ein Gemisch aus pflanzlichen Rohstoffen und Benzin. Schon Ende Jahr dürfte im Thurgau die erste E85-Zapfsäule stehen. Das eröffnet auch den Bauern neue Perspektiven.

Vergärt man Zucker von Kartoffeln, Gras oder Zuckerrüben, erhält man Bioethanol. Daraus entsteht, angereichert mit 15 Prozent Benzin, E85. Dieser Treibstoff ist nicht nur 40 Rappen billiger als Benzin, sondern zugleich umweltschonend, denn Bioethanol ist CO2-neutral.

Brasilien deckt heute einen Fünftel seines Treibstoffbedarfs mit Bioethanol. In Schweden soll bis in drei Jahren in jeder zweiten Zapfsäule E85 stecken. Und jetzt springt die Schweiz auf den Zug auf: In Winterthur eröffnete Agrola kürzlich die erste Ethanol- Tankstelle, und laut Verkaufs- und Marketingleiter Hannes Schnyder dürfte in Müllheim noch dieses Jahr eine weitere aufgehen. «Die Umsätze in Winterthur übertreffen die Erwartungen deutlich», sagt Schnyder, innert Wochen habe man 2000 Liter verkauft.

Riesiger Überschuss

145 Mio. Hektoliter Bioethanol werden für Schweizer Gebrauch in Cressier NE hergestellt. Laut dem Eidgenössischen Finanzdepartement liesse sich dieselbe Menge alleine aus der Verwertung der heute anfallenden Überschussproduktion bei Kartoffeln, Getreide, Zuckerrüben und Magermilch herstellen. (ako.)

Ein normaler Benzinmotor lässt sich mit E85 nicht betreiben, das Risiko eines Motorschadens ist zu gross. Benötigt wird ein Flex- Fuel-Steuergerät, so gross wie eine Tafel Schokolade. Damit ist freilich erst ein Bruchteil der Autos ausgerüstet. Dies macht sich der Steckborner Ernst Sutter zu Nutze: Für 1650 Franken rüstet er fast jedes Auto um, abgesehen von Leasing- und Neuwagen, deren Herstellergarantie noch gültig ist. Das Auto lässt sich dann sowohl mit Benzin als auch mit E85 betreiben.

Ökonomisch rechnet sich die Umstellung: Der Liter E85 ist derzeit 20 Prozent billiger als Benzin, der Verbrauch pro 100 Kilometer laut Sutter 10 Prozent höher. «Wer jährlich 20 000 Kilometer fährt, hat das Steuergerät in zwei Jahren amortisiert.»

Der Alkohol im Tank könnte auch den Bauern Perspektiven eröffnen. Bauernverbands-Präsident Andreas Binswanger vermutet in dieser neuen Nutzung der Biomasse «ein riesiges Potenzial». Dem Bissegger Otto Wartmann, der seit sieben Jahren eine Biogas-Anlage betreibt, macht indes die Konkurrenz Sorgen: «In Brasilien ist die Bioethanol-Produktion ein Drittel so teuer wie in der Schweiz.» Genau dies weckt auch bei Umweltverbänden Skepsis (siehe Box).

Eine Arbeitsgruppe des Thurgauer Bauernverbandes will sich jetzt den alternativen Energien widmen. Sie fokussiert nicht auf technische Möglichkeiten, sondern auf Rahmenbedingungen.

Saab, Volvo und Ford sind bereits auf den Bioethanol-Zug aufgesprungen, sie importieren E85-taugliche Neuwagen in die Schweiz. «Die Autoimporteure werden gefordert sein», glaubt Hannes Schnyder. «Schon bei uns klingelt seit Eröffnung der Zapfsäule das Telefon oft, die Autogaragen werden noch viel mehr Anrufe erhalten.» Und wo die Autoindustrie untätig bleibt, springt Ernst Sutter in die Bresche: Zwar hat er 2006 erst vier Autos umgerüstet, «aber auf dem Tisch liegen noch 20 offene Offerten».




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